Paul Reiss:Die zweite Generation – Sohn, Teilhaber und Manager
Paul Reiss wurde am 16. Dezember 1868 als erstes Kind der Familie Robert Reiss in Swinemünde geboren. Bereits mit 14 Jahren arbeitete er in dem von seinem Vater gerade in Bad Liebenwerda gegründeten Versandhandel. Seine Aufgabe war es, den Handwagen mit den Warensendungen zur Post zu fahren. 1883 wurde er nach Berlin zum Besuch des Gymnasiums geschickt und absolvierte im Anschluss in einer Berliner Papier-und Schreibwarenhandlung eine kaufmännische Lehre. Danach wurde Paul Reiss zum Militärdienst eingezogen. 1896 wandelte sein Vater das Unternehmen in eine Offene Handelsgesellschaft um, die als Technisches Versandgeschäft R. Reiss, Liebenwerda firmierte.

Paul hatte schon vorher erste Leitungsaufgaben übernommen und wurde nun offizieller Teilhaber der Firma. Mit der folgenden Errichtung der mechanischen Werkstätten bewiesen beide ihren ausgeprägten unternehmerischen Instinkt, denn die deutsche Feinmechanik sollte im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu einem wahren Höhenflug antreten. So konnte Reiss geodätische und zeichentechnische Präzisionsgeräte herstellen und in alle Welt ausliefern. 1906 wurden die „Herren Fabrikbesitzer Robert und Paul Reiss“ zu Königlichen Rumänischen Hoflieferanten ernannt. 1908 mussten die Mechanischen Werkstätten erweitert werden, um mehrere russische Großaufträge bewältigen zu können, für die extra ein russischer Regierungsbeauftragter angereist war. Per Bahn und Schiff erreichten die Artikel aus dem Hause Reiss Kunden in der ganzen Welt.

In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg erwirtschaftete die Firma 25 bis 30 Prozent des Umsatzes mit dem Exportgeschäft. Reiss konnte sich dabei auf namhafte Geschäftspartner verlassen, die das Unternehmen in den ausländischen Märkten vertraten. Vor allem dem Juniorchef Paul Reiss waren die guten Kontakte zu danken, denn er hatte nach seiner Militärzeit die ausländischen Geschäftspartner und dortigen Märkte während mehrerer Auslandsaufenthalte kennengelernt. 1911 nach dem Tod seines Vaters übernahm Paul Reiss das Unternehmen als Alleingesellschafter.
Während des Ersten Weltkrieges musste auch bei Reiss die Produktion auf die Bedürfnisse der Kriegswirtschaft umgestellt werden. Während der Kriegsjahre organisierte die Familie Reiss mehrfach Wohltätigkeitsveranstaltungen in Bad Liebenwerda, um die unter der Rationierung leidenden Familien zu unterstützen.

Nach Ende des Krieges und Zusammenbruch des Kaiserreiches waren auch die für Reiss wichtigen Exportbeziehungen abgebrochen und die Unternehmensleitung musste sich der Aufgabe stellen, den Warenabsatz wieder in Gang zu bringen. Der kriegsbedingte Nahrungsmittelmangel brachte Paul Reiss auf den Gedanken, landwirtschaftliche Kleingeräte herzustellen. Dieser „Ausflug“ in die Herstellung von Geflügelzuchtgeräten endete aber im Verlauf der 20er Jahre und Reiss konzentrierte sich zunehmend wieder auf das Kerngeschäft.
Allerdings hatte sich der gesundheitliche Zustand von Paul Reiss, der unter einer Herzschwäche litt, schon während der Kriegsjahre erheblich verschlechtert. 1920 wurde das Unternehmen in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt, an der zu zwei Dritteln die Gebrüder Wichmann beteiligt waren. Nach deren Eintritt in die Firma und der weiteren Verschlimmerung seiner Krankheit zog er sich immer weiter zurück. Als er 1930 starb, ging mit ihm die Epoche des durch die Familie Reiss geführten Unternehmens zu Ende.

Biografie
1868
Paul Reiss wurde am 16. Dezember als erstes Kind der Familie Robert Reiss in Swinemünde geboren.
1882
Mit 14 Jahren „Eintritt“ in das Unternehmen seines Vaters. Er fährt den Handwagen mit den Warensendungen zur Post.
1883
Besuch des Gymnasiums in Berlin. Danach durchläuft Paul Reiss die kaufmännische Ausbildung in einer Papier- und Schreibwarenhandlung.
1896
Nachdem er vorher schon Leitungsaufgaben übernommen hatte wird Paul Reiss offizieller Teilhaber der offenen Handelsgesellschaft.
1906
Zusammen mit seinem Vater wird er durch den rumänischen König zu Hoflieferanten ernannt. Die guten Kontakte, die Paul Reiss nach seiner Militärzeit im Ausland geknüpft hatte, waren Grundlage für den Exporterfolg.
1911
Nach dem Tod seines Vaters übernimmt er das Geschäft als Alleingesellschafter. Während des 1. Weltkrieges produzierte das Unternehmen Rüstungsgüter.
1918
Nach dem Krieg, Deutschland litt unter Nahrungsmittelunterversorgung, stellte Paul Reiss das Unternehmen auf die Herstellung landwirtschaftlicher Kleingeräte um.
1920
Im Verlauf der 20ger Jahre konzentrierte sich die Firma wieder auf ihr Kerngeschäft. Der durch ein Herzleiden gesundheitlich stark angeschlagene Paul Reiss wandelt die oHG in eine GmbH um, an der die Gebrüder Wichmann beteiligt sind. Paul Reiss zieht sich schrittweise aus der Unternehmensführung zurück.
1928
Die Krankheit verschlimmert sich stark und Paul Reiss bedarf ständiger ärztlicher Aufsicht.
1930
Paul Reiss stirbt in Frankfurt an der Oder. Die Epoche des durch die Familie Reiss geführten Unternehmens geht mit ihm zu Ende.