„Liefere nur das Beste“Geschichte der Firma REISS

1882 begonnen mit dem Versandhandel, kann man die von REISS hergestellten Produkte in weitere vier Kategorien fassen: Vermessungstechnik, Lichtpaustechnik, Mess- und Rechentechnik sowie Büromöbel. Natürlich gab es auch Erzeugnisse, die einfach der Zeit geschuldet waren, wie beispielsweise die Geflügelzuchtgeräte nach dem ersten Weltkrieg oder die Produktion von Handwagen und Tabakschneidemaschinen nach dem zweiten Weltkrieg.

Betriebsamkeit im Hause Reiss, 1890er Jahre

Es war Robert Reiss, der mit seinem Beruf als Landvermesser quasi bis heute die Produktentwicklung von REISS geprägt hat. Seiner „ganzheitlichen“ Betrachtungsweise und offensichtlichen Berufserfahrung ist es zu danken, dass Erzeugnisse hergestellt, bzw. zunächst gehandelt wurden, die einen Landvermesser tatsächlich rundum zufrieden stellen konnten. Während er das logistische Problem seiner Berufskollegen überhaupt an die Sachen zu kommen durch die Zusendung löste, sorgte er sich sowohl um Geräte (z.B. Messlatten) für den Einsatz im Feld wie um die Erledigung der Zeichenarbeit zu Hause oder im Kontor. Mehr oder weniger direkt entstanden so alle Produktlinien der Firma REISS, wenn die Gewichtung zunächst auch auf Vermessungsgeräten und Zubehör lag. Robert und Paul Reiss entwickelten die Produktion von der einfachen Messlatte bis hin zu geodätischen Präzisionsgeräten wie Theodoliten oder Nivellieren. Die von den beiden errichteten feinmechanischen Werkstätten fanden schnell den Anschluss an die deutsche Spitze. Parallel wurde vom Hause REISS alles angeboten, was sich um Zeichen- und Lichtpaustechnik drehte.

Die Versandhandlung expandiert zur Fabrik, 1896

1903 bekam Robert Reiss das erste Patent für einen Zeichentisch „mit durch Zahnradgetriebe und Stellbogen in jede Lage verstellbaren Reißbrett“; viele weitere sollten folgen. 1910 ließ Robert Reiss den ersten Sitz-Steh-Tisch Deutschlands herstellen. Zu diesem Zeitpunkt stellte die Firma schon Schreibmaschinentische, Stehpulte, Regale sowie Zeichnungs,- Bücher- und Aktenschränke her. Nach dem ersten Weltkrieg – das Unternehmen hatte mittlerweile wieder zu seinem Kerngeschäft zurückgefunden – wurde bis 1930 die Produktpalette auf etwa 800 verschiedene Produkte erweitert.

Mechanische Werkstätten, 1914

Mehr noch als der erste Weltkrieg war der zweite Weltkrieg eine Zäsur für REISS. Der Betrieb wurde vollständig demontiert und stand sogar vor der Sprengung. Es war nur dem Engagement der Mitarbeiter zu danken, dass REISS überlebt hat. Zunächst wurden dringend benötigte einfache Gebrauchsgüter hergestellt. Doch bereits Ende 1947 konnte das traditionelle Sortiment von dem mittlerweile volkseigenen Betrieb wieder aufgelegt werden.

Von 1949 an erfolgte zunehmend die Einordnung des Betriebes in die sozialistische Planwirtschaft. Ohne geodätische Geräte umfasste die Produktpalette von REISS jetzt noch Zeichenanlagen, Konstrukteursarbeitsplätze, Lichtpauseinrichtungen, Mathematische Geräte und Rechenschieber. Ab 1964 fielen die Lichtpausmaschinen weg, die die DDR auf Beschluss des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) nun aus Ungarn erhielt. Die Herstellung von Zeichenanlagen wurde zunehmend profilbestimmend und stellte ab 1957 das Hauptprodukt dar. Infolge konnte sich der VEB Messgerätebau- und Zeichentechnik Bad Liebenwerda zum führenden Hersteller in Europa entwickeln. Zu dieser Zeit verfügte das Unternehmen über Handelsbeziehungen in etwa 35 Länder und auf allen Kontinenten. REISS-Zeichenanlagen fanden sich beispielsweise in Konstruktionsbüros der sowjetischen Flugzeug- und Automobilindustrie, in Universitäten in Bolivien, Gewerbeschulen in Österreich und petrochemischen Betrieben in Rumänien. Zu den weiteren traditionellen Exportländern zählten die Niederlande, Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland, der Irak, Belgien, die Türkei sowie Ägypten. In den achtziger Jahren begann die Mikroelektronik auch in Bad Liebenwerda ihren Siegeszug zu halten. CAD/CAM lautet das Zauberwort und der jetzt zum Kombinat Robotron gehörende Betrieb stellte sich auf die Produktion von Plottern um.

REISS Fertigungsbereich Zeichentechnik, 1960

987 wird bereits der Tausendste Flachbettplotter K6418 ausgeliefert und für den neuen Trommelplotter K6416 werden große Investitionen in die Wege geleitet, die aber durch die politische Wende 1989 gestoppt wurden. Neben der völlig neuen Marktsituation entwickelt sich auch der Kundenbedarf in eine andere Richtung. Fast über Nacht brauchte keiner mehr traditionelle Zeichentechnik – die massive Durchdringung des Marktes mit computergestützten Lösungen beendet die Ära der Zeichenanlagen. Jetzt zahlt sich aus, dass 1903 bereits mit der Büromöbelfertigung begonnen wurde und man seit 1947 auch immer Möbel wie Schreibtische und Spezialschränke zur Komplettierung von Konstruktionsbüros herstellte. Unter dem Begriff „Konstruktionsmöbel“ wurden in Spezialwerkstätten große Mengen Vierbeinschreibtische sowie C-Fuß-Schreibtische hergestellt und für englische Kunden sogar mit Furnieroberflächen ausgestattet. 1990 betritt die REISS Zeichentechnik GmbH den Büromöbelmarkt. Bei REISS konzentriert man sich in Zukunft nur noch auf die Produktion und Weiterentwicklung von Büromöbeln. Gerade die den Zeichenanlagen zum Verhängnis gewordenen Computer bieten hier neue Chancen. Es werden zunehmend Bildschirmarbeitsplätze mit ergonomischen Anforderungen benötigt. REISS entwickelt Sitz-Steh-Arbeitstische und sogenannte CAD-Schreibtische. Der mit einer Zwei-Ebenen-Höhenverstellung versehene Schreibtisch bekommt in Erinnerung an den ersten höhenverstellbaren Schreibtisch den Namen ReForm. Das bei REISS vorhandene Know-how für Arbeitsplätze mit aufrechter Haltung wissen die REISS Konstrukteure so gut zu nutzen, dass zahlreiche Lösungen für höhenverstellbare Komponenten patentiert werden. Mit der Produktion der Zwei-Ebenen-Tische unterscheidet sich REISS bereits in der Anfangsphase von vielen anderen Anbietern und stellt darüberhinaus seine Kompetenz für ergonomische Büromöbel unter Beweis.

Chronik (bis 1990)

1882
Gründung des Unternehmens durch Robert Reiss als Versandhandel für Vermessungsbedarf und Bürohilfsmittel in Liebenwerda

1904
Beginn der Fertigung von Zeichenmaschinen, Lichtpausgeräten und Büromöbeln

1910
Entwicklung und Produktion des ersten Sitz-Steh-Schreibtisches „Reform“
Vermessungsgeräte werden in viele europäische Länder nach Südamerika und an den russischen Zaren geliefert

1921
Erste Laufwagen-Zeichenmaschine „Phönix“ – das legendäre REISS Brett; REISS stellt erstmals industriell ergonomische Arbeitsplätze her

1928
Produktion des 20.000sten Vermessungsinstruments

1945
Enteignung und völlige Demontage des Unternehmens – nur dem Engagement der REISS Mitarbeiter ist das Überleben des Unternehmens zu danken

1950
Entwicklung und Produktion von Zeichenanlagen mit höhenverstell- und neigbarem Reissbrett sowie Büromöbeln speziell für Konstrukteure

1957
75 Jahre REISS: Zehntausende Zeichenanlagen und mehr als 500.000 Rechenschieber wurden bisher ausgeliefert

1960
Exporte in 22 Länder der Erde und zunehmende Konzentration auf die Fertigung von Zeichenanlagen und Büromöbeln, Exportanteil 80 Prozent

1982
100 Jahre REISS: das Unternehmen ist größter Zeichenanlagenhersteller Europas

1990
Umbruch und Fokussierung auf Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Büromöbeln